7. Gefangen
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Missionsbericht Lieutenant Nick Sherdan

So richtig kam der Lieutenant mit sich selbst nicht zurecht. Diese Art der Existenz war im total fremd. Er hatte einen Körper - aber nicht seinen. Dazu kam noch, daß dieser neue Körper nicht aus einem sondern mehreren räumlich voneinander getrennten Teilen bestand. Nick kam sich vor wie eine Stadt mit vielen Häuser - falls man sich überhaupt wie eine Stadt fühlen konnte. Ein heftiges Schwindelgefühl quälte ihn. Hätte er noch einen Magen, hätte er sich wohl übergeben. Alles wirbelte durcheinander bis er von einer Kraft regelrecht zusammengestaucht wurde. Der Geist klärte sich augenblicklich und die Sinne ordneten sich allmählich. Erkennen konnte er trotzdem noch nichts, da der gewohnte Körper immer noch fehlte. Im Normalfall hätte Sherdan jetzt wohl die Augen geschlossen, um sich zu konzentrieren - aber das ging nicht.

Zumindest war es ihm jetzt schon wieder möglich, halbwegs vernünftige Gedanken zu fassen. Alle Reaktionen, die einem Menschen in kritischen Situationen zu eigen waren, funktionierten nicht, wie zum Beispiel tiefes Durchatmen oder die Zähne zusammen beißen oder, so komisch das auch anmuten mochte, sich zu kneifen um in die Realität zurück zu finden. Dadurch kam in Nick eine regelrechte Panik auf. Wieder trat die unbekannte Kraft auf und zwang diesmal all seine Gedanken zur Passivität. Das half. Die Panik verschwand schlagartig. Und dann vernahm er die Frage: „Bist du auch ein Mensch?“

Sherdan war verblüfft. Wo kann denn auf einmal diese Frage her? Fast hatte er geglaubt, daß er sie selbst gedacht hatte. Das war aber nicht der Fall. Vermutlich bemerkte der Fragesteller Sherdans Verwirrung, denn ein mitleidiges Gefühl machte sich in Nicks Empfindungen breit, das ebenfalls nicht von ihm stammte.

Die Passivität in seinen Gedanken ließ ein wenig nach. Sherdan versuchte sich zu konzentrieren und seinen Zustand zu analysieren. Das Letzte, an das er sich erinnerte war eine blaue Kristallstruktur, die in einem Felsen eingebettet war. Dann kam ein Blackout. Hm, in dieser Zeit mußte irgend etwas passiert sein, was ihn in diesen merkwürdigen Zustand versetzt hatte. Fakt war, daß er wohl keinen Körper mehr besaß - halt, das war nicht ganz richtig. Er besaß SEINEN Körper nicht mehr. Jedenfalls empfand er es so. Und diese Frage, die in seinem Geist aufgetaucht war? Woher war die gekommen?

„Ich kann dir helfen, wenn du möchtest.“ Sherdan wurde mit einem Mal klar, daß die „Stimme“ seinen Überlegungen gefolgt war. Das konnte nichts anderes bedeuten, als daß hier eine Kommunikation auf mentaler Ebene stattfand. Also formulierte Nick in Gedanken eine Antwort. „Ja, so wie es aussieht, habe ich wohl dringend Hilfe nötig. Wer bist du? Und wo bin ich? Was ist das für eine Art der Existenz hier?“

„Langsam, langsam. Mal der Reihe nach. Du bist gefangen, genau wie ich. Wir befinden uns in einer Art Kristall. Nun, und so unglaublich es auch klingen mag, dieser Kristall scheint zu leben. Jedenfalls behauptet das die Stimme, mit der ich bislang Verbindung hatte. Angeblich war es die Stimme des Kristalls der sich im übrigen Ziiolo nennt. Wie er mir berichtete, hat er mich assimiliert, weil er in mir eine 'Quelle der Harmonie' sah. Vermutlich ist dir dasselbe widerfahren. Wenn ich das richtig verstanden habe, dann sind wir durch eine Art der spontanen Materie-Energie-Wandlung hierher gelangt und unsere Körper würden als reine Energie durch die Kristallgitter vagabundieren, wenn Ziiolo sie nicht gebündelt hätte. Du hast doch sicher auch die Macht bemerkt, die dich nach deinem Eintreffen hier konzentriert hat?“ „Ja, die habe ich auch zu spüren bekommen. Das ist also Ziiolo. Ich habe es nie für möglich gehalten, daß ein Kristall leben könnte.“ „Nun, ich weiß aus Ziiolos Erzählungen, daß er wohl auch nicht durch Evolution erwacht ist, sondern vielmehr durch eine Umweltkatastrophe entstand, die die Ureinwohner dieses Planeten hier herbeigeführt hatten. Wenn ich das richtig interpretieren konnte, dann muß es sich dabei um eine überstarke elektromagnetische Schockwelle gehandelt haben.“

Ein Schaudern durchlief Sherdans Geist „Unglaublich! Ich hatte mich schon gefragt, was die Bewohner dieses Planeten umgebracht haben könnte. Sie haben sich also selbst vernichtet.“ „So scheint es. Sagst du mir jetzt, wer du eigentlich bist?“ fragte die inzwischen vertraut gewordene Stimme.

„Mein Name ist Nick Sherdan. Ich bin auf einem Planeten mit dem Namen Mars geboren.“ Nick nahm eine Welle der Freude war. „Dann gehörst du also auch zur Föderation?“

Sherdan war in einem Konflikt. Er wagte es nicht einmal, ihn zu analysieren, da sein Gesprächspartner ja jeden Gedanken mitbekam. Im Grunde bestand das Problem darin, zu verbergen, daß er zur Crew eines Schiffs des Geheimdienstes gehörte, aber der andere garantiert mitbekommen würde, daß er was zu verbergen versuchte. Während seiner Ausbildung hatte Nick gelernt, daß man am überzeugendsten auftreten konnte, wenn man sich eine Pseudobiografie zurechtlegte, die man dann in solchen Fällen wie diesen 'lebte'. Da er das schon öfters praktiziert hatte, machte es ihm nun auch nicht viel Mühe 'umzuschalten'.

„Ja“ antwortete er ganz offen „Ich bin Wissenschaftler und war dabei, diesen Planeten zu untersuchen. Dabei bemerkte ich ein Wrack auf der Oberfläche und begann es zu untersuchen. Merkwürdigerweise bemerkte ich bei mir und der Crew eine geistige Beeinflussung, die zu Schlafstörungen und Aggressionen führte. Deswegen begann ich die Nähere Umgebung des Wracks zu inspizieren, weil ich vermutete, daß das gestrandete Schiff eventuell auch diesem Einfluß erlegen war“

„Das stimmt allerdings.“ antwortete die Stimme. „Ich bin der Kapitän des Schiffes. Mein Name ist Rolph Lacura. Wir gerieten ebenfalls in den Einflußbereich. Vermutlich hatte dein Schiff mehr Glück als wir. Uns lullte die Beeinflussung derart ein, daß wir durch Unachtsamkeit eine Reihe von Katastrophen auf unserem Schiff auslösten. Als wir es merkten und in panischer Angst versuchten uns zu retten, war es allerdings schon zu spät. Nur dem Doktor meines Schiffes und mir selbst gelang es zu überleben. Wir konnten gerade noch notlanden.“

Nick wurde stutzig, da ihm die Geschichte sehr bekannt vorkam. „Mich würde mal interessieren, wie du als Mensch ausgesehen hast.“ sagte er mit bestimmter Absicht. Das Bild, was er daraufhin empfing, war ein Gesicht, welches er schon einmal gesehen hatte - in Sophie Quints Traum! Mit steigender Erregung sagte er „Das bist du? Dann sind die Träume, die meine Crew plagte also deine Hilferufe gewesen?“

„Was? Hat es tatsächlich funktioniert? Ich hatte schon alle Hoffnung aufgegeben, jemals jemanden auf mich aufmerksam zu machen. Ich war der Annahme, daß es wohl schon eines Telephaten bedarf, um hier entdeckt zu werden!“ Darauf antworte Sherdan nichts. Er versuchte von dem Thema abzulenken. „Du hast von Ziiolo erzählt. Wieso meldet er sich nicht? Was hat er dir alles erzählt?“ „Warte es ab. Auch bei mir hat es eine Weile gedauert, bis ich ihn zum ersten Mal vernahm.“

Und als ob Ziiolo nur auf das Stichwort gelauert hätte, vernahm Sherdan plötzlich eine neue Stimme. „Willkommen in meinem Reich, Nick Sherdan.“ Diese Stimme war völlig anders als Sherdan es erwartet hatte. Er hatte sich eine eisig kalte Stimme vorgestellt, doch diese hier war wohlmoduliert und sprühte richtig vor Wärme und Mitgefühl. Sie konnte einem gar nicht anders als sympathisch sein.

Vor Überraschung blieb Nick erst einmal stumm und lauschte den warmen Schwingungen nach, die ihn durchfluteten. „Ich bin wirklich glücklich, dich kennen zu lernen, Nick. Wie ich bemerkt habe, hast du dich schon mit meinem Gast Rolph bekannt gemacht. Wie fühlst du dich?“ „Danke, gut.“ antwortete Sherdan mehr automatisch als wahrheitsgetreu. Die Stimme war einfach überwältigend. Eine tiefe Geborgenheit erfaßte Sherdan. Doch gerade dieses Gefühl alarmierte ihn und ließ Unwohlsein in ihm hochsteigen. „So? Ich spüre aber eine gewisse Disharmonie, die von dir ausgeht. Stört dich irgendwas? Kann ich etwas für dein Wohlbefinden tun?“ „Oh ja, das kannst du. Zum Beispiel mir meinen Körper wieder zurück geben.“ „Das kann ich nicht tun. Du bist ein Teil von mir. Ich kann mich doch nicht selbst verstümmeln. Es tut mir sehr leid, Nick, aber das mußt du verstehen.“

Sherdan merkte, daß er sich bei einer Diskussion mit Ziiolo einer völlig andere Denkweise bedienen mußte um Erfolg zu haben. Ziiolo hatte von seinem Standpunkt aus natürlich Recht. Allerdings wußte Sherdan nicht, in wie weit Ziiolo solche Begriffe wie Moral und Recht überhaupt verstand. Er dachte an die Tiere auf dem Mars und der Erde. Die kannten auch keine Moral. Sie taten einfach, was aus ihrer Sicht notwendig war. Vermutlich mußte man solch ein Selbstverständnis auch bei Ziiolo voraussetzen.

„Natürlich verstehe ich das, Ziiolo. Ich könnte das auch nicht. Aber vielleicht finden wir ja eine andere Möglichkeit, mein Unwohlsein zu beseitigen. Dir scheint sehr an meinem Befinden gelegen zu sein. Willst du mir nicht ein wenig von dir erzählen, damit ich dich kennen lerne? Captain Lacura hat zwar schon einige Andeutungen gemacht, aber ich bin sehr wissensdurstig. Schließlich ist das alles sehr neu für mich.“ „Dagegen habe ich nichts einzuwenden, wenn du mir anschließend auch ein paar Erlebnisse von dir erzählst. Ich bin sehr neugierig auf deine Abenteuer.“

Und Ziiolo begann seine Geschichte zu erzählen...

Sherdan lauschte gespannt der Erzählung Ziiolos. Währenddessen beschäftigte er sich aber auch mit der Suche nach einer Lösung seines Problems. Es mußte doch irgend einen Weg geben, die Umwandlung rückgängig zu machen.

„...und dann überkam mich das Verlangen nach Vereinigung. Ich konnte dem nicht mehr widerstehen. Deshalb bist du jetzt hier.“ endete Ziiolo mit seinem Bericht.

„Das heißt also, daß es gar nicht deine Absicht war, mich zu assimilieren?“ „Nein, das war es wirklich nicht. Ich wußte schon durch deinen Artgenossen, daß ich zwar anfangs eine gewisse Befriedigung erlangen würde, aber mit der Zeit baut sich mehr und mehr eine Dissonanz in der Harmonie auf, die mir Unwohlsein bereitet. Auch du strahlst schon solch eine Dissonanz aus.“

Mit einem Mal bemerkte Nick, daß Ziiolo wohl abgelenkt worden war. Sofort dachte Sherdan an seine Freunde, die sich bestimmt Sorgen um ihn machen würden. Noch wußte der Lieutenant nicht, wie sich sein hiersein in der realen Welt bemerkbar gemacht hat. War er einfach verschwunden? Oder war etwas in der Welt außerhalb von Ziiolo zurückgeblieben?

„Ich hoffe nur, daß deine Crew dich suchen wird, Nick.“ meldete sich der Captain des gestrandeten Schiffes wieder. „Ich denke dabei vor allem auch an meinen Doktor, der sich in einer Felsenhöhle in einem Stasisfeld befindet. Vielleicht finden sie ihn bei der Suche nach dir?“

Sherdan kam die Störung jetzt gerade ungelegen. „Warte mal, ich glaube, irgend etwas passiert jetzt gerade. Spürst du es auch?“ „Ja, stimmt.“ antwortete Lacura. „Es ist genauso, wie kurz vor deinem Eintreffen hier.“

Sherdan durchfuhr es wie einen elektrischen Schlag. Sollte sich noch jemand in die Nähe der Felsen gewagt haben? Das durfte nicht passieren! Mit einem Mal überkam Nick wieder das Gefühl, als ob er sich verlieren würde, so wie es kurz nach seinem Eintreffen hier war. Ziiolos Kontrolle schien durch die Ablenkung nachzulassen. Augenblicklich schaltete Sherdan und fing an, sich zu konzentrieren. Und da vernahm er sehr vertraute Gedanken. Sophie!! Sie war wohl das nächste Ziel Ziiolos. Noch befand sie sich noch knapp außerhalb der Grenze, an der der Kristall die Kontrolle über sich verlor.

Sherdan merkte auch gleichzeitig zwei Dinge. Sophie hatte telephatischen Kontakt zu Ziiolo aufgenommen und Ziiolo versuchte sich mit aller Kraft gegen sein Verlangen der Vereinigung zu wehren. Das telephatische Gespräch kam Sherdan bekannt vor. Ziiolo erklärte Sophie gerade, daß es ihm einfach nicht möglich war Nick wieder zurückzugeben. Die Lage wurde kritisch. Der Kristall bat Sophie, sich doch zu entfernen, doch der Counsellor wollte nicht aufgeben. Wäre sie zurückgegangen, wäre auch der direkte Kontakt abgebrochen.

Sherdan spürte das Unglück förmlich hereinbrechen und bot Ziiolo seine Hilfe an. Da auch Ziiolo fast am Ende seiner Beherrschung war, fragte er nicht lange nach dem wie, sondern öffnete sich für Sherdan. Nick versuchte sofort, die Fähigkeiten Ziiolos, andere Lebensformen zu assimilieren, zu blockieren. Langsam fühlte er sich in die Kristallstruktur Ziiolos ein. Gefühlsmäßig begriff er den natürlichen Mechanismus, der sich hinter dem Verlangen Ziiolos verbarg. Als er sich sicher war, setzte Sherdan all seine Konzentration ein, dieses Verlangen zu unterdrücken. Was darauf folgte, raubte Sherdan das Bewußtsein. Nach einem grellem Blitz folgte tiefe Ohnmacht.

 

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