Missionsbericht Lieutenant Nick Sherdan
So
richtig kam der Lieutenant mit sich selbst nicht zurecht. Diese
Art der Existenz war im total fremd. Er hatte einen Körper
- aber nicht seinen. Dazu kam noch, daß dieser neue Körper
nicht aus einem sondern mehreren räumlich voneinander getrennten
Teilen bestand. Nick kam sich vor wie eine Stadt mit vielen Häuser
- falls man sich überhaupt wie eine Stadt fühlen konnte.
Ein heftiges Schwindelgefühl quälte ihn. Hätte
er noch einen Magen, hätte er sich wohl übergeben. Alles
wirbelte durcheinander bis er von einer Kraft regelrecht zusammengestaucht
wurde. Der Geist klärte sich augenblicklich und die Sinne
ordneten sich allmählich. Erkennen konnte er trotzdem noch
nichts, da der gewohnte Körper immer noch fehlte. Im Normalfall
hätte Sherdan jetzt wohl die Augen geschlossen, um sich zu
konzentrieren - aber das ging nicht.
Zumindest
war es ihm jetzt schon wieder möglich, halbwegs vernünftige
Gedanken zu fassen. Alle Reaktionen, die einem Menschen in kritischen
Situationen zu eigen waren, funktionierten nicht, wie zum Beispiel
tiefes Durchatmen oder die Zähne zusammen beißen oder,
so komisch das auch anmuten mochte, sich zu kneifen um in die
Realität zurück zu finden. Dadurch kam in Nick eine
regelrechte Panik auf. Wieder trat die unbekannte Kraft auf und
zwang diesmal all seine Gedanken zur Passivität. Das half.
Die Panik verschwand schlagartig. Und dann vernahm er die Frage:
Bist du auch ein Mensch?
Sherdan
war verblüfft. Wo kann denn auf einmal diese Frage her? Fast
hatte er geglaubt, daß er sie selbst gedacht hatte. Das
war aber nicht der Fall. Vermutlich bemerkte der Fragesteller
Sherdans Verwirrung, denn ein mitleidiges Gefühl machte sich
in Nicks Empfindungen breit, das ebenfalls nicht von ihm stammte.
Die
Passivität in seinen Gedanken ließ ein wenig nach.
Sherdan versuchte sich zu konzentrieren und seinen Zustand zu
analysieren. Das Letzte, an das er sich erinnerte war eine blaue
Kristallstruktur, die in einem Felsen eingebettet war. Dann kam
ein Blackout. Hm, in dieser Zeit mußte irgend etwas passiert
sein, was ihn in diesen merkwürdigen Zustand versetzt hatte.
Fakt war, daß er wohl keinen Körper mehr besaß
- halt, das war nicht ganz richtig. Er besaß SEINEN Körper
nicht mehr. Jedenfalls empfand er es so. Und diese Frage, die
in seinem Geist aufgetaucht war? Woher war die gekommen?
Ich
kann dir helfen, wenn du möchtest. Sherdan wurde mit
einem Mal klar, daß die Stimme seinen Überlegungen
gefolgt war. Das konnte nichts anderes bedeuten, als daß
hier eine Kommunikation auf mentaler Ebene stattfand. Also formulierte
Nick in Gedanken eine Antwort. Ja, so wie es aussieht, habe
ich wohl dringend Hilfe nötig. Wer bist du? Und wo bin ich?
Was ist das für eine Art der Existenz hier?
Langsam,
langsam. Mal der Reihe nach. Du bist gefangen, genau wie ich.
Wir befinden uns in einer Art Kristall. Nun, und so unglaublich
es auch klingen mag, dieser Kristall scheint zu leben. Jedenfalls
behauptet das die Stimme, mit der ich bislang Verbindung hatte.
Angeblich war es die Stimme des Kristalls der sich im übrigen
Ziiolo nennt. Wie er mir berichtete, hat er mich assimiliert,
weil er in mir eine 'Quelle der Harmonie' sah. Vermutlich ist
dir dasselbe widerfahren. Wenn ich das richtig verstanden habe,
dann sind wir durch eine Art der spontanen Materie-Energie-Wandlung
hierher gelangt und unsere Körper würden als reine Energie
durch die Kristallgitter vagabundieren, wenn Ziiolo sie nicht
gebündelt hätte. Du hast doch sicher auch die Macht
bemerkt, die dich nach deinem Eintreffen hier konzentriert hat?
Ja, die habe ich auch zu spüren bekommen. Das ist also
Ziiolo. Ich habe es nie für möglich gehalten, daß
ein Kristall leben könnte. Nun, ich weiß
aus Ziiolos Erzählungen, daß er wohl auch nicht durch
Evolution erwacht ist, sondern vielmehr durch eine Umweltkatastrophe
entstand, die die Ureinwohner dieses Planeten hier herbeigeführt
hatten. Wenn ich das richtig interpretieren konnte, dann muß
es sich dabei um eine überstarke elektromagnetische Schockwelle
gehandelt haben.
Ein
Schaudern durchlief Sherdans Geist Unglaublich! Ich hatte
mich schon gefragt, was die Bewohner dieses Planeten umgebracht
haben könnte. Sie haben sich also selbst vernichtet.
So scheint es. Sagst du mir jetzt, wer du eigentlich bist?
fragte die inzwischen vertraut gewordene Stimme.
Mein
Name ist Nick Sherdan. Ich bin auf einem Planeten mit dem Namen
Mars geboren. Nick nahm eine Welle der Freude war. Dann
gehörst du also auch zur Föderation?
Sherdan
war in einem Konflikt. Er wagte es nicht einmal, ihn zu analysieren,
da sein Gesprächspartner ja jeden Gedanken mitbekam. Im Grunde
bestand das Problem darin, zu verbergen, daß er zur Crew
eines Schiffs des Geheimdienstes gehörte, aber der andere
garantiert mitbekommen würde, daß er was zu verbergen
versuchte. Während seiner Ausbildung hatte Nick gelernt,
daß man am überzeugendsten auftreten konnte, wenn man
sich eine Pseudobiografie zurechtlegte, die man dann in solchen
Fällen wie diesen 'lebte'. Da er das schon öfters praktiziert
hatte, machte es ihm nun auch nicht viel Mühe 'umzuschalten'.
Ja
antwortete er ganz offen Ich bin Wissenschaftler und war
dabei, diesen Planeten zu untersuchen. Dabei bemerkte ich ein
Wrack auf der Oberfläche und begann es zu untersuchen. Merkwürdigerweise
bemerkte ich bei mir und der Crew eine geistige Beeinflussung,
die zu Schlafstörungen und Aggressionen führte. Deswegen
begann ich die Nähere Umgebung des Wracks zu inspizieren,
weil ich vermutete, daß das gestrandete Schiff eventuell
auch diesem Einfluß erlegen war
Das
stimmt allerdings. antwortete die Stimme. Ich bin
der Kapitän des Schiffes. Mein Name ist Rolph Lacura. Wir
gerieten ebenfalls in den Einflußbereich. Vermutlich hatte
dein Schiff mehr Glück als wir. Uns lullte die Beeinflussung
derart ein, daß wir durch Unachtsamkeit eine Reihe von Katastrophen
auf unserem Schiff auslösten. Als wir es merkten und in panischer
Angst versuchten uns zu retten, war es allerdings schon zu spät.
Nur dem Doktor meines Schiffes und mir selbst gelang es zu überleben.
Wir konnten gerade noch notlanden.
Nick
wurde stutzig, da ihm die Geschichte sehr bekannt vorkam. Mich
würde mal interessieren, wie du als Mensch ausgesehen hast.
sagte er mit bestimmter Absicht. Das Bild, was er daraufhin empfing,
war ein Gesicht, welches er schon einmal gesehen hatte - in Sophie
Quints Traum! Mit steigender Erregung sagte er Das bist
du? Dann sind die Träume, die meine Crew plagte also deine
Hilferufe gewesen?
Was?
Hat es tatsächlich funktioniert? Ich hatte schon alle Hoffnung
aufgegeben, jemals jemanden auf mich aufmerksam zu machen. Ich
war der Annahme, daß es wohl schon eines Telephaten bedarf,
um hier entdeckt zu werden! Darauf antworte Sherdan nichts.
Er versuchte von dem Thema abzulenken. Du hast von Ziiolo
erzählt. Wieso meldet er sich nicht? Was hat er dir alles
erzählt? Warte es ab. Auch bei mir hat es eine
Weile gedauert, bis ich ihn zum ersten Mal vernahm.
Und
als ob Ziiolo nur auf das Stichwort gelauert hätte, vernahm
Sherdan plötzlich eine neue Stimme. Willkommen in meinem
Reich, Nick Sherdan. Diese Stimme war völlig anders
als Sherdan es erwartet hatte. Er hatte sich eine eisig kalte
Stimme vorgestellt, doch diese hier war wohlmoduliert und sprühte
richtig vor Wärme und Mitgefühl. Sie konnte einem gar
nicht anders als sympathisch sein.
Vor
Überraschung blieb Nick erst einmal stumm und lauschte den
warmen Schwingungen nach, die ihn durchfluteten. Ich bin
wirklich glücklich, dich kennen zu lernen, Nick. Wie ich
bemerkt habe, hast du dich schon mit meinem Gast Rolph bekannt
gemacht. Wie fühlst du dich? Danke, gut.
antwortete Sherdan mehr automatisch als wahrheitsgetreu. Die Stimme
war einfach überwältigend. Eine tiefe Geborgenheit erfaßte
Sherdan. Doch gerade dieses Gefühl alarmierte ihn und ließ
Unwohlsein in ihm hochsteigen. So? Ich spüre aber eine
gewisse Disharmonie, die von dir ausgeht. Stört dich irgendwas?
Kann ich etwas für dein Wohlbefinden tun? Oh
ja, das kannst du. Zum Beispiel mir meinen Körper wieder
zurück geben. Das kann ich nicht tun. Du bist
ein Teil von mir. Ich kann mich doch nicht selbst verstümmeln.
Es tut mir sehr leid, Nick, aber das mußt du verstehen.
Sherdan
merkte, daß er sich bei einer Diskussion mit Ziiolo einer
völlig andere Denkweise bedienen mußte um Erfolg zu
haben. Ziiolo hatte von seinem Standpunkt aus natürlich Recht.
Allerdings wußte Sherdan nicht, in wie weit Ziiolo solche
Begriffe wie Moral und Recht überhaupt verstand. Er dachte
an die Tiere auf dem Mars und der Erde. Die kannten auch keine
Moral. Sie taten einfach, was aus ihrer Sicht notwendig war. Vermutlich
mußte man solch ein Selbstverständnis auch bei Ziiolo
voraussetzen.
Natürlich
verstehe ich das, Ziiolo. Ich könnte das auch nicht. Aber
vielleicht finden wir ja eine andere Möglichkeit, mein Unwohlsein
zu beseitigen. Dir scheint sehr an meinem Befinden gelegen zu
sein. Willst du mir nicht ein wenig von dir erzählen, damit
ich dich kennen lerne? Captain Lacura hat zwar schon einige Andeutungen
gemacht, aber ich bin sehr wissensdurstig. Schließlich ist
das alles sehr neu für mich. Dagegen habe ich
nichts einzuwenden, wenn du mir anschließend auch ein paar
Erlebnisse von dir erzählst. Ich bin sehr neugierig auf deine
Abenteuer.
Und
Ziiolo begann seine Geschichte zu erzählen...
Sherdan
lauschte gespannt der Erzählung Ziiolos. Währenddessen
beschäftigte er sich aber auch mit der Suche nach einer Lösung
seines Problems. Es mußte doch irgend einen Weg geben, die
Umwandlung rückgängig zu machen.
...und
dann überkam mich das Verlangen nach Vereinigung. Ich konnte
dem nicht mehr widerstehen. Deshalb bist du jetzt hier.
endete Ziiolo mit seinem Bericht.
Das
heißt also, daß es gar nicht deine Absicht war, mich
zu assimilieren? Nein, das war es wirklich nicht.
Ich wußte schon durch deinen Artgenossen, daß ich
zwar anfangs eine gewisse Befriedigung erlangen würde, aber
mit der Zeit baut sich mehr und mehr eine Dissonanz in der Harmonie
auf, die mir Unwohlsein bereitet. Auch du strahlst schon solch
eine Dissonanz aus.
Mit
einem Mal bemerkte Nick, daß Ziiolo wohl abgelenkt worden
war. Sofort dachte Sherdan an seine Freunde, die sich bestimmt
Sorgen um ihn machen würden. Noch wußte der Lieutenant
nicht, wie sich sein hiersein in der realen Welt bemerkbar gemacht
hat. War er einfach verschwunden? Oder war etwas in der Welt außerhalb
von Ziiolo zurückgeblieben?
Ich
hoffe nur, daß deine Crew dich suchen wird, Nick.
meldete sich der Captain des gestrandeten Schiffes wieder. Ich
denke dabei vor allem auch an meinen Doktor, der sich in einer
Felsenhöhle in einem Stasisfeld befindet. Vielleicht finden
sie ihn bei der Suche nach dir?
Sherdan
kam die Störung jetzt gerade ungelegen. Warte mal,
ich glaube, irgend etwas passiert jetzt gerade. Spürst du
es auch? Ja, stimmt. antwortete Lacura. Es
ist genauso, wie kurz vor deinem Eintreffen hier.
Sherdan
durchfuhr es wie einen elektrischen Schlag. Sollte sich noch jemand
in die Nähe der Felsen gewagt haben? Das durfte nicht passieren!
Mit einem Mal überkam Nick wieder das Gefühl, als ob
er sich verlieren würde, so wie es kurz nach seinem Eintreffen
hier war. Ziiolos Kontrolle schien durch die Ablenkung nachzulassen.
Augenblicklich schaltete Sherdan und fing an, sich zu konzentrieren.
Und da vernahm er sehr vertraute Gedanken. Sophie!! Sie war wohl
das nächste Ziel Ziiolos. Noch befand sie sich noch knapp
außerhalb der Grenze, an der der Kristall die Kontrolle
über sich verlor.
Sherdan
merkte auch gleichzeitig zwei Dinge. Sophie hatte telephatischen
Kontakt zu Ziiolo aufgenommen und Ziiolo versuchte sich mit aller
Kraft gegen sein Verlangen der Vereinigung zu wehren. Das telephatische
Gespräch kam Sherdan bekannt vor. Ziiolo erklärte Sophie
gerade, daß es ihm einfach nicht möglich war Nick wieder
zurückzugeben. Die Lage wurde kritisch. Der Kristall bat
Sophie, sich doch zu entfernen, doch der Counsellor wollte nicht
aufgeben. Wäre sie zurückgegangen, wäre auch der
direkte Kontakt abgebrochen.
Sherdan
spürte das Unglück förmlich hereinbrechen und bot
Ziiolo seine Hilfe an. Da auch Ziiolo fast am Ende seiner Beherrschung
war, fragte er nicht lange nach dem wie, sondern öffnete
sich für Sherdan. Nick versuchte sofort, die Fähigkeiten
Ziiolos, andere Lebensformen zu assimilieren, zu blockieren. Langsam
fühlte er sich in die Kristallstruktur Ziiolos ein. Gefühlsmäßig
begriff er den natürlichen Mechanismus, der sich hinter dem
Verlangen Ziiolos verbarg. Als er sich sicher war, setzte Sherdan
all seine Konzentration ein, dieses Verlangen zu unterdrücken.
Was darauf folgte, raubte Sherdan das Bewußtsein. Nach einem
grellem Blitz folgte tiefe Ohnmacht.